Alt In Berlin
Alter hat viele Gesichter, Lebensformen und Möglichkeiten in Berlin,
dieser Ansammlung sehr unterschiedlicher Großstädte.
Wenn überhaupt, wird Alter öffentlich eher einseitig wahrgenommen
als defizitär, problematisch, mühselig und kostenträchtig.
Perspektivwechsel lohnen,
genau hinschauen, querdenken, nachfragen,
und manchmal hilft nur Gelächter.
dieser Ansammlung sehr unterschiedlicher Großstädte.
Wenn überhaupt, wird Alter öffentlich eher einseitig wahrgenommen
als defizitär, problematisch, mühselig und kostenträchtig.
Perspektivwechsel lohnen,
genau hinschauen, querdenken, nachfragen,
und manchmal hilft nur Gelächter.
„Ich wähle CDU“ verkündete er mir 1990, bei den ersten demokratischen Wahlen in Ostdeutschland. „Nur die haben das Geld, diese ungeheuerlichen Umweltsauereien zu beseitigen“. Die blühenden Landschaften wurden realisiert. Über viele Jahre war es die konsequente Stillegung vor allem der sächsischen Industriekombinate, die den CO2-Ausstoß der Bundesrepublik Deutschland rapide senkte. Gleichzeitig schuf die Einführung bundesdeutscher Standards in Sachen Verlagerung kommunaler Kosten für Strom, Abwasser, Straßenbau und -Erhaltung auf Grundstückseigentümer und -Pächter gerade im ländlichen Raum vielfältigen Druck auf ländliche Hauseigentümer. Die Professionalität westlicher Bau- und Entsorgungsunternehmen in Akquise und Verkauf überdimensionierter und überteuerter Lösungen tat ein Übriges. Hilflos wehrte sich mein sächsischer Bruder gegen die Einordnung des gesamten von ihm genutzten Grundstücks in Bauland und entsprechend berechnete ruinöse Abwasserpreise. „Man muss diesen korrupten Politikern aller sogenannten demokratischen Parteien die Kante zeigen“, sagte er 1994 und wählte NPD – als einzige „Protest“partei. Unsere Beziehung ist nicht so, dass ich als kleine Schwester eine Chance hätte, meinen älteren Bruder zur Wirkung solchen Protestes zu beraten. Zumal er dazu neigt, Frust und Enttäuschung unter beißendem Zynismus zu begraben. So habe ich nicht gefragt, ob er beim letzten Mal AfD oder garnicht mehr gewählt hat. Diverse Hauptstadtmedien kommentieren derzeit mit leiser Häme, dass die Piraten anteilig am meisten Wähler*innen an die AfD verloren hätten. Man muss genauer oder mehrere Zeitungen lesen, um zu sehen, woher die Wähler*innen letzterer kamen. In der Reihenfolge der absoluten Zahlen sind das bisherige Nichtwähler, Sonstige, CDU, SPD, Linke, Piraten, FDP, Grüne. Bedenkt man, dass die Piraten 2011 eher das Protestpotenzial junger und gut gebildeter Menschen mobilisierten, spricht es für sich, dass sie nun in weit höherem Maße Stimmen an Linke, Nichtwähler und Grüne abgaben.
Vollends grotesk jedoch ist die „Wahlsieg-Formel“ der Morgenpost. Hier werden parallele Erscheinungen als Ursache/Wirkung dargestellt. Statistiker kennen das putzige Beispiel der Korrelation von Storchenwanderung und Geburtenhäufigkeit in Skandinavien, das als „faszinierender“ Beweis der Behauptung dienen könnte, dass der Klapperstorch die Kinder bringt. Fatal ist, dass der hier hergestellte Zusammenhang zwischen Ossie und Wahlmehrheiten die Suche nach realen Ursachen verhindert und Ossies in die gewohnte Ecke der Unbelehrbaren stellt. Keine gute Voraussetzung für positive Veränderungen. In die gleiche Kerbe haut die Berichterstattung zum gerade veröffentlichten „Bericht zur deutschen Einheit“. Da werden 104 Seiten Bericht reduziert auf die simple Aussage: „Fremdenhass schadet der Wirtschaft im Osten“. Wer schützt uns vor den Folgen der groben medialen Vereinfachungen, die am Ende in so schlichten wie absolut kontraproduktiven Schuldzuweisungen hängen bleiben? Und auf der anderen Seite mit adäquaten Vereinfachungen "Lügenpresse" beantwortet werden. Ist es wirklich zu vernachlässigen, dass drei der sieben Bezirke Berlins, in denen die AfD einen Stadtratsposten erhalten kann, Westbezirke sind? Alle aber liegen am Stadtrand, wohin seit Jahren die ziehen (müssen), die sich die wachsenden Mieten in den Innenstadtbezirken nicht mehr leisten können. Und es sind auch Außenbezirke, wo Menschen ähnliche Erfahrungen wie mein sächsischer Bruder machen mussten. So frustrierend das Wahlergebnis in Berlin in einer Hinsicht sein mag, es bringt Bewegung in die Politik. Auch wenn Berlin auch hier wieder Spiegel der gesamtdeutschen Entwicklungen seit 1989 ist, sind die Aufgaben vor Ort und nur in der ganzen Stadt zu lösen. Anders als in Gesamtdeutschland, wo in Baden-Württemberg die AfD vor wenigen Monaten 15,1% (!) der Stimmen bekam und die Erregung darüber durch die Ergebnisse in Mecklenburg-Vorpommern rasch aus den bundesdeutschen Medien verdrängt wurde, funktioniert das in Berlin hoffentlich nicht mit solcher Abspaltung. Berlin ist in aller Wiedersprüchlichkeit eine großartige Stadt. Es ist zwölf sehr benachbarte und sehr unterschiedliche, verbundene Städte im Wechselspiel mit vielen Möglichkeiten. Was ich mir wünsche von der bunten Mischung, die nun die neue Berliner Regierung bilden wird: Die Stadt verdient eine konstruktive, transparente Politik, die die Interessen der Vielen offen einbezieht. Möge es gelingen, in den nächsten fünf Jahren zu verhandeln, zu beteiligen, auszudiskutieren im Interesse der vielen so unterschiedlichen Menschen, die hier leben. Jenseits von Parteiprofilierungen, platten Konfrontationen, schlichten Schuldzuweisungen, einseitiger Machtpolitik. Es könnte zum Beispiel werden für das ganze Land.
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Drei Tage Amsterdam im Sommer. Nach zwei Stunden gemächlichen Radelns entlang der Grachten, über Kreuzungen und Brücken, durch Haupt- und Nebenstraßen der Innenstadt sitzen wir in einem Café - natürlich mit Blick auf einen Kanal. Wir schauen auf das Gewusel von Fußgängern und Radfahrern, Touristen und Einheimischen, die da kreuz und und quer und friedlich ihre Wege aneinander vorbei und umeinander herum finden. Ohne Missmut, heiter und gelassen. Es gibt wenig Herrenräder, ein paar mit allen Schikanen, kein E-Bike und viele ziemlich altmodische Räder, nur mit Rücktritt und ohne Gangschaltung und ganz wenig Autos. Und so viele Fahrradparkplätze, angesichts derer ich mich frage, wie ich dort meines in der schieren Menge wiederfinden würde. Was mir auch auffällt, sind die Elektrotanksäulen in den Grachten. Ich sehe wenig Verkehrszeichen oder Verbotsschilder, abgesehen von gelegentlichen Hinweisen auf Abstellverbote für Fahrräder. Selbst die wirklich nervigen Motorroller werden auf den breiten Radwegen achselzuckend vorbei gelassen, obwohl sie eigentlich dort nichts zu suchen hätten. Ich versuche mir vorzustellen, einen Gast per Fahrrad durch Berlin zu lotsen und spüre sofort meine mühsam gebremste Aggression angesichts überbordender Bauzäune und Schmutzhaufen, oft nicht vorhandener, unterbrochener oder zugeparkter, holpriger schmaler Radwege. Auch angesichts der alltäglichen bedrohlichen Enge zwischen Straßenbahngleisen, haarscharf überholenden und parkenden Autos. Der Unterschied zwischen den beiden Städten ist augenfällig. Amsterdam erlebe ich als entspannt, gelassen, locker in diesen heiteren Sommertagen. Auch im dicksten Durch- und Miteinander ist kaum Hupen, Schimpfen und keinerlei Aggressivität wahrzunehmen. Berlin mit seinem schnodderigen „is' mir egal“ ist wurschtig mit mehr oder weniger unterschwelliger Aggression. Es gibt so viele Regelungen und Verkehrsschilder, Ge- und Verbote und so wenige, die auf deren Einhaltung achten. Und es ist diese machtvolle Hierarchie zwischen Autos, Fahrrädern und Fußgängern, unterschiedlichen Geschwindigkeiten mit entsprechenden Raumzuweisungen. Es ist schon grotesk, wenn die Gegner der Initiative für den Fahrradvolksentscheid nun eine „einseitige Bevorzugung“ einer Art der Fortbewegung in der Stadt befürchten. Selbst mit einem Erfolg der Initiative wäre Berlin noch Jahrzehnte entfernt von einer so gleichberechtigten, entspannten Teilhabe am städtischen Raum, wie man sie in Amsterdam erleben kann. Vielleicht sollte Berlin ein paar Hauptstraßen ausbaggern und in Kanäle umwandeln.
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Juni 2019
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