Alt In Berlin
Alter hat viele Gesichter, Lebensformen und Möglichkeiten in Berlin,
dieser Ansammlung sehr unterschiedlicher Großstädte.
Wenn überhaupt, wird Alter öffentlich eher einseitig wahrgenommen
als defizitär, problematisch, mühselig und kostenträchtig.
Perspektivwechsel lohnen,
genau hinschauen, querdenken, nachfragen,
und manchmal hilft nur Gelächter.
dieser Ansammlung sehr unterschiedlicher Großstädte.
Wenn überhaupt, wird Alter öffentlich eher einseitig wahrgenommen
als defizitär, problematisch, mühselig und kostenträchtig.
Perspektivwechsel lohnen,
genau hinschauen, querdenken, nachfragen,
und manchmal hilft nur Gelächter.
Ohnmacht, Zorn, Ratlosigkeit – und die Suche nach Sinn, das sind meine Gefühle und Reaktionen angesichts der Ereignisse der letzten Tage. Was treibt einen Menschen, sich einen LKW zu mieten und wild um sich schießend wehrlose, feiernde, ungekannte Menschen tötend zu überrollen? Was treibt einen jungen Schwarzen, gezielt Polizisten zu erschießen, so viele wie möglich? Was treibt andererseits Polizisten, seit Jahrzehnten immer wieder wehrlose Schwarze zu erschießen? Was treibt meist männliche Menschen weltweit, Amok zu laufen und jeweils möglichst viele Unbekannte in den Tod zu reißen, bevor sie sich selbst töten oder töten lassen? Was treibt andererseits die Bundeszentrale für politische Bildung zu solcher Reduktion: „Selbstmordattentate sind zu einem Synonym für islamistischen Terror geworden. Wo liegen die Wurzeln dieses Phänomens, wer sind die Attentäter? Wie ist das Verhältnis der islamischen Religion zu dieser Form von Gewalt?“ Was ist denn unser Verhältnis, das der Mächtigen oder das der Waffenproduzenten in aller Welt zu Selbstmordattentaten? Sind es nicht auch die einfachen Erklärungen derer mit Deutungs- und Gestaltungsmacht, die die Spirale der Gewalt in Drehung halten, den Sog verstärken? Es scheint mir unendlich schwer, das so unerträgliche Gefühl der Hilflosigkeit nicht in hilflosen Zorn, in wilde Aggression auswachsen zu lassen. Ich bin zornig auf Politiker, die demokratische Rechte schrittweise einschränken, die sich einerseits über die Überwachungsmethoden eines zu Recht untergegangenen Systems erregen und deren moderne Datenlager über jegliche Bürger_innen täglich ungeheuerlich anwachsen, offen für Gleichgesinnte. Es macht mich zornig, genau diese Politiker angesichts der Attentate beteuern zu hören, dass „wir uns nicht in unserem freien Leben einschränken lassen“. Es scheint mir eine makabre Choreografie für ein pas de deux von Ängsten und Gewalt, das in diesem Wechselspiel von Ausgrenzung, Demonstration von Macht und Hilflosigkeit, einseitigen Interpretationen und Terror abläuft. Ein Erdogan hat die Macht und die Apparate, Menschen anderer Meinung mit Beleidigungs- und Verleumdungsklagen zu überziehen, Bomben auf Mitbürger werfen zu lassen, sich schrittweise zum – demokratisch gewählten – absoluten Herrscher über Menschen, über Richtig und Falsch zu erklären. Er hat die Macht, einen Putschverantwortlichen zu definieren, per Email an (?) alle türkischen Bürger_innen Unterstützung zu suchen und die Loyalität der Vielen zu missbrauchen, um gründlich zu „säubern“. Egal, ob die der „Säuberung“ Unterzogenen am Putsch beteiligt sind oder nicht. Angesichts der Komplexität des Geschehens scheint es immer wieder logisch und richtig, von vielen möglichen Übeln das kleinere zu wählen; für den zu demonstrieren, der Demonstrationen seit langem gewalttätig unterbindet; sich solidarisch mit dem zu erklären, der konsequent nur die eigenen Machtinteressen vertritt. Nährt sich die Stärke der Einen von der Schwäche der vielen? Gibt es Alternativen?
Wem nutzt es, wenn die Gewaltspiralen sich immer weiterdrehen? Neben all den raschen Deutungen gibt es immer wieder solche, die den Bogen weiter spannen mit offenen Fragen. Kann man den Terror des IS nur mit Bomben beantworten? Ist der IS das Problem oder eine Folge von anderem? Ist radikaler Islamismus aus sich selbst heraus entstanden? Die einzige Art von Radikalismus? Auf welche Fragen antworten die Nachahmer der Mordstrategien des IS mit ihren so einsamen wie entsetzlichen Taten? Sind sie schlicht Psychopathen, die wenigstens einmal in ihrem Leben Macht über Leben und Tod ausüben wollen, weil sie eben so sind? Oder sind sie Marionetten in Systemen, die ihresgleichen produzieren? Die den jeweils gegebenen Mustern folgen? Was geschieht, wenn Gewalt als einzige Antwort auf Gewalt erklärt und ausgeübt wird? Ich fühle mich terrorisiert: Von „Sachzwängen“, von „Zeit/Entscheidungs/Handlungsdruck“, von Ausgrenzungen, von voyeuristischen Bildern der Gewalt, einseitigen Interpretationen, absichtsvollen Umdeutungen, Machtmissbrauch, Rechthaberei und ihren Folgen. Von Verweigerungen – zu verhandeln, zuzuhören, hinzuhören, von den einfachen Antworten. Von Gefühlen von Angst und Hilflosigkeit, die aus all dem erwachsen, den angedienten Perspektivlosigkeiten, dem Tunnelblick auf unsere wunderbare und so vielfältig bedrohte Welt. Ich will Alternativen. Offenheit, für das, was auch ist.
1 Kommentar
Wissen und Macht des Menschen fallen zusammen, weil Unkenntnis der Ursache [auch] über deren Wirkung täuscht“ (Francis Bacon). Ausgerechnet im Land des Philosophen, der im Weiterdenken seiner Erkenntnis über die Macht des Wissens diesen Satz prägte, sind gerade die Folgen von Nichtwissen zu beobachten. Es tröstet wenig, dass nicht nur die Briten sehr massiv die Verunsicherungen durchleben, die aus den Spielen der Mächtigen mit Nichtwissen und selektiver Information entstehen – dem eigenen, aber eben besonders aus dem der Vielen, die dem Bauchgefühl folgen, das auf dem weißen Rauschen der öffentlichen Stimmen beruht.
Ich lebe im Informationszeitalter. Es gibt kaum etwas, das nicht letztlich auch im Internet zu recherchieren wäre. Ein Problem ist, dass ich eine Frage nur dann stellen kann (und damit entsprechend recherchieren), wenn mein Wissen ausreicht, sie zu formulieren. Das andere Problem heißt Informationsüberflutung. Wilde Bewunderung befällt mich, wenn ich lese, das wieder einmal ein Whistleblower über 200 000 Dateien ins Netz gestellt hat und dass es tatsächlich Menschen gibt, die daraus gewichtige Informationen ziehen, auf den Punkt bringen und allgemein zur Verfügung stellen können. Hinterher ist man immer klüger – so wie jetzt, wo allerorten begonnen wird, über Folgen des Brexit laut nachzudenken. Ob klug genug, um nun die Unkenntnis der Ursachen weiterhin zu nutzen, um über Wirkungen zu täuschen, wird die Zukunft zeigen. Auch sei dahin gestellt, wie weit und von wem das wissentlich und willentlich mit welchen Intensionen genutzt und betrieben wird. Komplexität heißt, dass der Raum der Möglichkeiten immer weit größer ist als der Raum der Gewissheiten. Was auch etwas aussagt über politische Totschlagformeln zu unumgänglichen Konsequenzen. Mein Alltag schenkt mir ein etwas weniger komplexes Beispiel. Da gibt es in Berlin das „Gesetz zur Stärkung der Mitwirkung der Seniorinnen und Senioren am gesellschaftlichen Leben im Land Berlin (Berliner Seniorenmitwirkungsgesetz – BerlSenG)“. Seit zehn Jahren. Eine Reaktion auf den wachsenden Anteil Älterer in der Stadt und den politischen Druck, den engagierte Ältere über 20 Jahre lang aufbauten, weil der öffentliche Blick auf das Thema Alter ein höchst eingeschränkter ist. Das Resultat war als solches beispielhaft in Deutschland. Und es war mangelhaft, wie viele andere Gesetze, die erstmals aus einem politischen Willen folgen. Eben das, was übrig bleibt, wenn eine Idee auf dem Weg zum Gesetz in der mehr oder weniger öffentlichen und parlamentarischen Auseinandersetzung der unterschiedlichen Gewichtungen und widersprüchlichen Gruppeninteressen geschliffen wird. Erstmalig wurde das BerlSenG 2006 nach langem Ringen am Ende einer Legislaturperiode verabschiedet. Und es scheint zur Regel zu werden, auch Änderungen dazu jeweils in den gleichen Zeitraum zu legen. Zeitdruck ist ein gern genutzter Faktor, "Unumgängliches" durchzusetzen. Alte Menschen sind selten schnell - weder in der körperlichen Bewegung, noch in der Abstimmung miteinander und sie sind wahrlich keine homogene Bevölkerungsgruppe. Sie stehen einerseits vor der schwierigen Aufgabe, Politiker zu bewegen, für die Alter ein eher zu ignorierendes, weil unangenehmes Thema ist. Eines neben vielen anderen, weit vordringlicheren Themen. Andererseits müssen die Alten – die sich meist auch nicht als solche begreifen mögen - in den eigenen Reihen überein kommen auf der Suche nach gemeinsamen Zielen und Strategien. So brauchten die entsprechenden Seniorenvertretungen in Berlin immerhin gut zwei Jahre, um zu erkennen, dass die Landespolitiker von sich aus nichts unternehmen würden. Und es brauchte ein drittes Jahr, um sich zu einigen, was eine zweite Änderung des BerlSenG enthalten sollte. Ende 2014 – knapp zwei Jahre vor Ende der Legislaturperiode – übersandten sie endlich ihre Änderungswünsche an Senat und Abgeordnetenhaus. Und es geschah – nichts. Erst nach geraumer Zeit gab eine der Regierungsfraktionen ein Gutachten in Auftrag. Das ist ein beliebtes Instrument der Bekundung, dass man sich einem Thema widmen wolle, ohne etwas tun zu müssen. Die darin gestellte Frage nach der Verfassungsmäßigkeit des gewünschten Wahlverfahrens und -zeitpunktes (gleichzeitig mit AGH-Wahl und als Briefwahl) war schon 2010 (vor der letzten Novelle) aus dem damaligen Justizsenat positiv beantwortet worden. Die – annähernd gleichlautende – Antwort lag den Fragestellern Anfang 2015 vor, blieb aber für die laut Geschäftsordnung des Parlaments mögliche Zeit unter Verschluss. Dem Hörensagen nach legte Ende 2015 eine Regierungsfraktion der anderen endlich einen Änderungsentwurf für das BerlSenG vor. Ebenfalls dem Hörensagen nach war dann sechs Monate keine Einigung der beiden zu erzielen. Inzwischen begannen bezirkliche Seniorenvertretungen und die Bezirksverwaltungen sich auf die nach dem geltenden Gesetz im August 2016 anstehenden Aufstellungen der Vorschlagslisten vorzubereiten. Es ist eine der Schwachstellen des BerlSenG, dass es auch nach zehnjähriger Geltung nur einem Bruchteil der rund 800 000 über 60Jährigen in Berlin bekannt ist. Damit sind auch die Bewerbungen für die maximal 17köpfige bezirkliche Interessenvertretung oft eher gering und die Bewerbersuche aufwändig mit beschränkten Mitteln. Die jetzt in Kraft tretende Gesetzesänderung liefert ein lebendiges Beispiel, wie absolute Mehrheiten im Parlament über Mitwirkungsregeln im wesentlichen ohne die Mitwirkenden entscheiden können. Ende Mai lag einigen Seniorenvertreter*innen auf Landesebene ein Gesetzesentwurf vor, der Anfang Juni im Ausschuss für Gesundheit und Soziales mit einer „Anhörung“ der beiden Vorsitzenden von Landesseniorenbeirat und Landessenioren-vertretung erstmalig auch der Opposition zur Kenntnis gegeben wurde. Zwei Wochen später wurden im gleichen Ausschuss Änderungsanträge der Opposition abgelehnt. Am 22.6. wurde im Hauptausschuss der geringfügig geänderten Gesetzesvorlage mehrheitlich zugestimmt und am 23.6. geschah das Gleiche im Parlament. Die Oppositionsfraktionen enthielten sich bei der Abstimmung. Warum machten sie nicht von der Geschäftsordnung des Parlaments gleichermaßen Gebrauch, wie es beim Vorhaben zur Videoüberwachung geschah? „Die Geschäftsordnung des Parlaments schreibt vor, dass ein vorgelegter Gesetzentwurf nicht gleich in der nächsten Plenarsitzung beschlossen werden darf. Ausnahmen von der Regel sind erlaubt, wenn alle Fraktionen im Abgeordnetenhaus damit einverstanden sind.“ Ein Schelm, wer Arges dabei denkt. Der Ablauf der nun im Februar/März 2017 anstehenden (Brief)Wahlen wird zeigen, ob die vermutlich notwendige nächste Änderung des Berliner Seniorenmitwirkungsgesetzes rechtzeitig vor Ende der Legislaturperiode stattfinden sollte. Auch wenn die Handelnden auf allen Ebenen mindestens teilweise andere sein werden, Lernprozesse sind Teil des Raumes der Möglichkeiten. So unübersehbar folgenschwer wie der Brexit wird es allerdings nicht sein. |
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Juni 2019
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